Wie können Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen abgebaut werden? Entertainment Education als Interventionsansatz

Insbesondere gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen existieren viele Vorurteile, die ein friedvolles Zusammenleben und soziale Teilhabe erschweren können. Wie lassen sich diese Vorurteile reduzieren? Und welche Rolle können Unterhaltungsmedien dabei spielen? Auf Unterhaltungsmedien basierende Entertainment Education-Interventionen (z. B. das Ansehen einer Serie) können Personen erreichen, die besonders vorurteilsbehaftet sind und durch andere Interventionsansätze zur Reduzierung von Vorurteilen (z. B. Diversity Trainings) oft nicht erreicht werden.

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Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen

In der Psychologie werden Vorurteile als meist negative Einstellungen von Personen gegenüber anderen Personen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeiten zu bestimmten (z. B. ethnischen) Gruppen definiert.1 Vorurteile finden sich auch im Kontext von Flucht und Migration. Bestimmten Gruppen von Geflüchteten und/oder Migrant*innen werden, wenn diese als muslimisch oder als Sinti*zze und Rom*nja wahrgenommen werden, in Deutschland starke negative Vorurteile entgegengebracht.2 Entscheidend ist, dass Vorurteile nicht nur „im Kopf vorhanden“ sind, sondern auch als Grundlage und Rechtfertigung für diskriminierendes, also ablehnendes oder feindseliges Verhalten gegenüber Mitgliedern bestimmter sozialer Gruppen, dienen.3 2018 berichteten in Deutschland circa ein Drittel der Migrant*innen von Diskriminierungserfahrungen.4 Vorurteile sind daher ein entscheidender Ansatzpunkt für präventive Interventionen, um Diskriminierung zu reduzieren und bestenfalls zu verhindern.

In der Praxis gibt es verschiedene Ansätze, um vorherrschende Vorurteile auf individueller sowie struktureller Ebene zu reduzieren. Zwei verbreitete Ansätze sind der direkte (face-to-face) Kontakt mit Mitgliedern anderer Gruppen5 sowie sogenannte Diversity- oder Anti-Bias-Trainings.6

Eine potenzielle Einschränkung dieser Ansätze ist jedoch, dass sie diejenigen, deren Vorurteile vergleichsweise stark sind, am wenigsten erreichen. Menschen mit stärkeren Vorurteilen werden kaum an einem Diversity- oder Anti-Bias-Training teilnehmen, es sei denn, die Teilnahme ist verpflichtend (z. B. im Arbeitskontext).7,8 Ähnliches gilt womöglich für die Teilnahme an einer Intervention mit direktem Kontakt und auch der aktiven Kontaktsuche zu Mitgliedern anderer sozialer Gruppen im Alltag. Im Folgenden erläutern wir, warum Entertainment Education-Interventionen besonders geeignet sind, auch diejenigen zu erreichen, die stark ausgeprägte Vorurteile haben und durch herkömmliche Ansätze zur Vorurteilsreduktion nur bedingt erreicht werden.

Was ist Entertainment Education?

Entertainment Education-Ansätze basieren auf der Idee, Informationen zu sozial relevanten Themen mithilfe von aussagekräftigen und unterhaltsamen Geschichten zu vermitteln. Dabei sollen die Empfänger*innen gleichzeitig unterhalten (entertained) und gebildet (educated) werden.9,10 Derartige Ansätze können in unterschiedlichen Formen umgesetzt werden, z. B. in Büchern, Radiobeiträgen oder in Filmen.

Entertainment Education-Ansätze wurden bisher vor allem dazu eingesetzt, gesundheitsrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen der Rezipient*innen zu verändern. Immer häufiger werden sie auch aufgrund ihrer erwiesenen Effektivität zur Reduzierung von Vorurteilen gegenüber verschiedenen Gruppen verwendet.8,11 Einige dieser Ansätze beziehen sich auf ethnisch-kulturelle oder religiöse Gruppen, die im Kontext von Flucht und Migration relevant sind. Beispielsweise reduzierte das Lesen eines Ausschnitts aus dem Buch „Saffron Dreams“ der Autorin Shaila Abdullah Vorurteile nicht-muslimischer Personen gegenüber muslimischen Personen. Der Roman stellt unter anderem muslimische Personen dar, die nicht den gängigen Stereotypen entsprechen. Es wurden Gefühle der Unsicherheit und Angst gegenüber muslimischen Personen reduziert und Gefühle von Empathie sowie Perspektivenübernahme erleichtert.12 In ähnlicher Weise konnte das Schauen einer Folge der Sitcom „Little Mosque“, die von einer Gruppe muslimischer Personen handelt, die Vorurteile nicht-muslimischer Personen gegenüber muslimischen Personen längerfristig reduzieren.9 Die muslimischen Personen werden hier als sympathische Individuen mit alltäglichen Sorgen, liebenswerten Eigenheiten und auch Unzulänglichkeiten dargestellt, sodass Rezipient*innen sich gut in ihnen wiedererkennen können. Die Sitcom enthält verschiedene Szenen, in denen positive Interaktionen zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Personen dargestellt werden. Diese Szenen können im Sinne einer indirekten Kontakt-Intervention wirken (d. h., die Rezipient*innen haben keinen direkten Kontakt, beobachten aber in der Sitcom Mitglieder ihrer Eigengruppe im Kontakt mit muslimischen Personen). Zusammengenommen haben diese Prozesse dazu beigetragen, dass die nicht-muslimischen Rezipient*innen sich stärker mit muslimischen Personen identifizieren konnten, was wiederum zur Reduzierung ihrer Vorurteile beigetragen hat. Ähnliche Ergebnisse erzielte bereits das Schauen eines wenige Minuten langen Videoclips („A Land Called Paradise“ von Lena Khan), in dem sich verschiedene muslimische Personen auf unterhaltsame Weise so darstellen, dass die Rezipient*innen sich gut mit ihnen identifizieren können.9,10 Entertainment Education-Ansätze können also verschiedenste Inhalte haben (z. B. Darstellungen positiver Kontaktsituationen, nicht-stereotypische Darstellung von Mitgliedern bestimmter Gruppen) und verschiedenste psychologische Prozesse anstoßen, die mit der Reduktion von Vorurteilen zusammenhängen (z. B. Identifikation mit Mitgliedern anderer Gruppen, Reduzierung von Unsicherheits- und Angstgefühlen).

Warum wirkt Entertainment Education?

Warum sollten Entertainment Education-Ansätze nun besonders gut dafür geeignet sein, auch diejenigen zu erreichen, die relativ vorurteilsbehaftet sind? Insbesondere zeigten sich drei Wirkmechanismen von Entertainment Education.13

Erstens wird die Botschaft auf möglichst subtile Weise, sozusagen „unter dem Radar“ vermittelt (z. B., dass Mitglieder der Fremdgruppe „Menschen wie du und ich“ sind). Wenn Personen beispielsweise eine Serie anschauen oder ein Buch lesen, erwarten sie eher unterhalten zu werden und weniger, dass Einstellungsänderungen bezweckt werden sollen. Vorurteilsbehaftete Personen, die mit offensichtlicheren Versuchen der Einstellungsänderung (z. B. der freiwilligen Teilnahme an Diversity Trainings) eher schwieriger erreichbar sind, können somit besser erreicht werden.

Zweitens haben Entertainment Education-Ansätze das Potenzial, die Rezipient*innen in den Bann zu ziehen, was in der Forschung oft als „Transportation“ bezeichnet wird. Die Rezipient*innen fühlen sich im Idealfall von den Inhalten mitgerissen und können sich mit den Figuren identifizieren. Das führt wiederum dazu, dass sie die eingebetteten Botschaften weniger wahrscheinlich kritisch hinterfragen, da sie unter anderem weniger kognitive Kapazitäten dazu haben. Personen suchen folglich weniger Gegenargumente und nehmen die Botschaften für sich persönlich als relevanter wahr.

Drittens können die dargestellten Charaktere als soziale Vorbilder und Rollenmodelle wirken. Die Rezipient*innen erfahren beispielsweise im Zuge einer Erzählung, wie sich einer der Charaktere, ein Mitglied der eigenen Gruppe, positiv gegenüber einem Mitglied einer anderen Gruppe verhält und dafür belohnt wird (z. B. durch soziale Anerkennung). Positives Verhalten kann darin bestehen, dass eine Freundschaft über ethnisch-kulturelle oder religiöse Grenzen hinweg initiiert wird oder Unsicherheiten und Ängste im Kontakt mit Mitgliedern anderer Gruppen erfolgreich überwunden werden. Derartige Rollenmodelle erhöhen die Selbstwirksamkeitserwartung der Rezipient*innen, also ihre Überzeugung, ein ähnliches Verhalten selbst auch im wirklichen Leben ausführen zu können.13 Eine solche Erhöhung der Selbstwirksamkeitserwartung erfolgt sonst oftmals durch positive alltägliche Begegnungen, die aber besonders vorurteilsbehaftete Menschen seltener haben.

Zusammengenommen können diese drei Prozesse dazu beitragen, dass sich auch Rezipient*innen mit stärkeren Vorurteilen der Botschaft öffnen. Entertainment Education-Ansätze können insbesondere bei diesen Personen zu einer Vorurteilsreduzierung beitragen, während offensichtlichere Ansätze (z. B. die explizite Aufforderung, sich eine positive Interaktion mit einem Mitglied einer anderen Gruppe vorzustellen) u. U. weniger wirksam sind.12

Empfehlung für die Praxis und Fazit

Obwohl Entertainment Education-Ansätze in erster Linie auf individuelle Veränderungen abzielen, haben sie auch das Potenzial, eine breite Masse zu erreichen und damit strukturell zu wirken. So ist zum Beispiel ein unterhaltsames YouTube-Video, in das eine potenziell vorurteilsreduzierende Botschaft eingebettet ist, für die meisten Personen einfach zugänglich und kann durch die Verbreitung über soziale Medien „viral“ gehen. Dies könnte sich langfristig positiv auf das Diversitäts-Klima und die Intergruppenbeziehungen in einer Organisation oder Nachbarschaft auswirken.

Entertainment Education-Ansätze können sowohl für Medienmachende (z. B. Autor*innen, Filmemacher*innen, Content-Creator*innen) als auch für Personen, die in beruflichen Kontexten Medien einsetzen (z. B. Lehrkräfte, Erzieher*innen) relevant sein. Was sollte bei der Erstellung oder Nutzung von Entertainment Education-Material beachtet werden? Hier lassen sich wissenschaftlich gestützte Empfehlungen aussprechen. Erstens muss der Medieninhalt dazu geeignet sein, Vorurteile zu reduzieren. Insbesondere Darstellungen, die positiven Kontakt zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen (z. B. nicht-stereotype oder sympathische Mitglieder anderer Gruppen) beinhalten, erwiesen sich dabei als wirksam. Zweitens sollte der Medieninhalt die drei oben genannten und bewährten Mechanismen von Entertainment Education bewirken. Die zentrale Botschaft sollte also möglichst subtil in das Narrativ eingebettet sein (z. B. in einem Nebenstrang zur Hauptgeschichte). Der Medieninhalt sollte zudem unterhaltsam sein und Möglichkeiten der Identifikation mit den dargestellten Charakteren bieten, sodass die Rezipient*innen in die Geschichte eintauchen können. Idealerweise sollte der Medieninhalt zusätzlich einen Charakter beinhalten, der für die Rezipient*innen im Sinne eines Rollenmodells (mit wahrgenommener Ähnlichkeit) wirken kann. So könnte ein Mitglied der eigenen Gruppe mit einem Mitglied einer anderen Gruppe interagieren und dadurch einen positiven Umgang demonstrieren. Drittens sollte der Beitrag möglichst zielgruppenspezifisch sein. Es kann sinnvoll sein, für verschiedene Zielgruppen (z. B. Grundschulkinder, junge Erwachsene) verschiedene Medien zu entwickeln oder einzusetzen. Dabei scheinen Erzählungen aus einer Ich-Perspektive besonders wirksam zu sein, wobei es keine Rolle spielt, ob aus der Sicht einer vorurteilsbetroffenen Person oder einer nicht-betroffenen Person erzählt wird.11

Praktiker*innen, die einen Entertainment Education-Ansatz zur Vorurteilsreduktion nutzen, sollten sich auch der damit verbundenen potenziellen Fallstricken bewusst sein. So kann z. B. kritisch diskutiert werden, inwiefern Praktiker*innen dieses Mittel als manipulativ und den Einsatz daher als ethisch nicht unbedenklich wahrnehmen – insbesondere bei einer sehr subtilen Vermittlung zentraler Inhalte. Zudem sollte jegliches Material vor der Verwendung noch einmal kritisch daraufhin überprüft werden, ob es nicht (unbeabsichtigt) doch zur Verfestigung bestehender Vorurteile beiträgt oder andere nicht-intendierte Nebeneffekte hat. Dazu empfiehlt es sich, Personen in die Entwicklung oder Auswahl des Materials einzubeziehen, die selbst der Gruppe angehören, gegenüber der Vorurteile abgebaut werden sollen.

 

Auf einen Blick
• Unterhaltungsmedien (z. B. Serien) können wirksam Vorurteile gegenüber Fremdgruppen reduzieren.
• Über Unterhaltungsmedien können insbesondere Personen erreicht werden, die relativ starke Vorurteile haben und/oder sich nicht aktiv mit ihren Vorurteilen beschäftigen wollen.
• Entertainment Education wirkt insbesondere über drei Mechanismen: Subtilität, Transportation und Rollenmodelle:

 

Literatur

1 Allport, G. W. (1954). The nature of prejudice. Addison-Wesley.

2 Groß, E., Zick, A., & Krause, D. (2012). Von der Ungleichwertigkeit zur Ungleichheit: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Bundeszentrale für politische Bildung (bpb).

3 Zick, A., Küpper, B., & Hövermann, A. (2011). Die Abwertung der Anderen: Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin.

4 European Union Agency for Fundamental Rights. (2017). Second European union minorities and discrimination survey—Main results. https://bit.ly/3kXnARi

5 Pettigrew, T. F., & Tropp, L. R. (2006). A meta-analytic test of intergroup contact theory. Journal of Personality and Social Psychology, 90(5), 751-783. https://doi.org/10.1037/0022-3514.90.5.751

6 Kowal, E., Franklin, H., & Paradies, Y. (2013). Reflexive antiracism: A novel approach to diversity training. Ethnicities, 13(3), 316–337. https://doi.org/10.1177/1468796812472885

7 Paluck, E., & Green, D. (2008). Prejudice reduction: What works? A review and assessment of research and practice. Annual Review of Psychology, 60(1), 339–367. https://doi.org/10.1146/annurev.psych.60.110707.163607

8 Paluck, E. L., Porat, R., Clark, C. S., & Green, D. P. (2021). Prejudice Reduction: Progress and Challenges. Annual Review of Psychology, 72(1), 533–560. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-071620-030619

9 Murrar, S., & Brauer, M. (2018). Entertainment-education effectively reduces prejudice. Group Processes & Intergroup Relations, 21(7), 1053–1077. https://doi.org/10.1177/1368430216682350

10 Siem, B., Neymeyer, L., & Rohmann, A. (2021). Entertainment education as a means to reduce anti-Muslim prejudice – For whom does it work best?. Social Psychology, 52(1), 51–60. https://doi.org/10.1027/1864-9335/a000432

11 Zhuang, J., & Guidry, A. (2022). Does storytelling reduce stigma? A meta-analytic view of narrative persuasion on stigma reduction. Basic and Applied Social Psychology, 44(1), 25–37. https://doi.org/10.1080/01973533.2022.2039657

12 Johnson, D. R., Jasper, D. M., Griffin, S., & Huffman, B. L. (2013). Reading narrative fiction reduces Arab-Muslim prejudice and offers a safe haven from intergroup anxiety. Social Cognition, 31(5), 578–598. https://doi.org/10.1521/soco.2013.31.5.578

13 Murrar, S., & Brauer, M. (2019). Overcoming resistance to change: Using narratives to create more positive intergroup attitudes. Current Directions in Psychological Science, 28(2), 164–169. https://doi.org/10.1177/0963721418818552

 

Bitte zitieren als: Schaefer, L., Siem, B., & Rohmann, A. (2023). Wie können Vorurteile gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen abgebaut werden? Entertainment Education als Interventionsansatz. Magazin des Fachnetzwerks Sozialpsychologie zu Flucht und Integration. Online abrufbar unter http://www.fachnetzflucht.de/wie-koennen-vorurteile-gegenueber-gefluechteten-und-migrantinnen-abgebaut-werden-entertainment-education-als-interventionsansatz