Wie kann man mit Falschmeldungen über Geflüchtete umgehen?

Immer wieder tauchen Falschmeldungen über Geflüchtete in den sozialen Medien auf, die sich teilweise hartnäckig halten. Vor allem im Zuge der sogenannten EU-Flüchtlingskrise im Sommer 2015 war ein starker Anstieg von Falschmeldungen über Geflüchtete (oder als Geflüchtete wahrgenommene) Personen zu beobachten. Woher kommen diese Falschmeldungen und wieso sind sie so verbreitet? Welche Konsequenzen haben sie und wie kann man ihnen entgegentreten? Dieser Beitrag stellt die Hintergründe von Falschmeldungen über Geflüchtete dar und bietet Hilfestellung im Umgang mit solchen Informationen.

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In einer ländervergleichenden Studie aus dem Jahr 2018 zeigte sich, dass sowohl in Deutschland als auch in Österreich Geflüchtete das häufigste Ziel von Falschmeldungen waren, in den USA und Großbritannien waren es hingegen hauptsächlich politische Akteur*innen.[1] Inhaltlich reicht die Bandbreite von falschen Informationen zu Geld- und Sachleistungen, wie beispielsweise die unwahre Behauptung, dass Geflüchtete bei Ankunft ein Handy geschenkt bekämen[2], bis hin zu Falschmeldungen über gehäufte sexualisierte Gewalt und Diebstahl durch Geflüchtete[1]. Ob wissentlich oder unwissentlich – inhaltlich falsche Informationen zu verbreiten hat für die Verfasser*innen meistens keine Konsequenzen. Auf diejenigen, um die es sich in den Falschmeldungen dreht, können sie sich jedoch negativ auswirken.

Die fälschlicherweise generalisierende Darstellung von Geflüchteten bspw. als Nutznießer*innen oder Kriminelle, kann schwerwiegende psychologische und gesundheitliche Folgen für die Betroffenen haben. Konkret kann eine solche Diffamierung die Lebenszufriedenheit, das Wohlbefinden, das Sicherheitsgefühl, das Vertrauen in Institutionen und das (neue) soziale Umfeld, sowie die Integrationsbereitschaft senken.[3],[4],[5],[6] Auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft können solche Falschmeldungen außerdem fremdenfeindliche Einstellungen und die Beliebtheit von rechtsextremen Parteien und Gruppierungen fördern.[7],[8] Dieses Spannungsfeld erschwert die Arbeit von Ehrenamtler*innen und Fachleuten deutlich.

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Wenn Sie online eine Schlagzeile über Geflüchtete lesen, die vollkommen Ihrer eigenen Meinung widerspricht, sind Sie von vornherein skeptisch oder sind Sie der Information gegenüber aufgeschlossen und bereit sich überzeugen zu lassen? Und wie bewerten Sie die Seriosität dieser Website im Vergleich zu einer Seite, deren Schlagzeilen Ihrer Meinung entsprechen?

Wenn Sie eher skeptisch sind und der Seite misstrauen, sind Sie nicht alleine. Die meisten Menschen bewerten Medien als qualitativ hochwertiger, die Nachrichten veröffentlichen, welche sich mit ihrer eigenen Einstellung decken als solche die ihr widersprechen.[9] Studien zeigten außerdem, dass sich Menschen vor allem Artikel durchlesen, die ihre bereits vorhandene Meinung bestätigen und diesen entsprechend eher Glauben schenken.[10],[11],[12] Dies gilt auch für Falschmeldungen über Geflüchtete, wie die Stiftung Neue Verantwortung zeigt in einer Studie zeigt: Vor allem Anhänger*innen der AfD, einer Partei, die in Teilen als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde, halten inhaltlich falsche Aussagen wie „Flüchtlinge bekommen in Deutschland kostenlos einen Führerschein vom Staat finanziert“ für wahr.[13]

Die Tendenz, sich einstellungskonformen Informationen auszusetzen, trägt maßgeblich zur Bildung von sogenannten Echokammern bei.[14] Eine Echokammer beschreibt das Phänomen, dass sich Menschen in sozialen Netzwerken mit Gleichgesinnten umgeben und sich somit gegenseitig in der eigenen Einstellung bestärken. So verfestigt sich der Eindruck, die eigene Einstellung entspräche der Mehrheitsmeinung.[15],[16] Innerhalb dieser Echokammern bleiben Falschmeldungen meistens unwidersprochen und verbreiten sich sogar schneller als wahre Informationen.[17],18]

Wie kann man mit Falschmeldungen umgehen?

Neben den Geflüchteten selbst müssen sich auch Menschen, die privat, beruflich oder ehrenamtlich mit geflüchteten Personen in Kontakt stehen, mit Falschmeldungen über Geflüchtete auseinandersetzen. Seien es Beratungsstellen, Behörden, Sozialarbeiter*innen, Lehrer*innen oder Menschen in anderen beruflichen oder privaten Kontexten. Grundsätzlich gilt: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Denn je häufiger falsche Informationen wiederholt werden, desto schwieriger sind sie zu korrigieren.[19],[20]

Vorsorge – Wie kann ich Falschmeldungen vorgreifen?

Um die Widerstandsfähigkeit gegen Falschmeldungen zu erhöhen, kann es helfen, sich und anderen zwei Dinge bewusst zu machen: erstens die eigene Anfälligkeit für Falschmeldungen, denn niemand ist grundsätzlich immun dagegen ihnen Glauben zu schenken. Und zweitens die möglicherweise manipulativen Absichten von Falschmeldungen, also das Ziel, welches verfolgt wird.[21]

Die größte Wirksamkeit zeigten sogenannte „Schutzimpfungs“-Trainings, die sich an das medizinische Prinzip der Verabreichung harmloser Dosen zur Bildung von Antikörpern anlehnt.[22] Hier werden den Teilnehmenden Falschmeldungen präsentiert, die im Anschluss von Trainer*innen oder den Teilnehmenden selbst argumentativ entkräftet werden.[23] Für manche Themen wurden solche Trainings bereits als leicht zugängliche Online-Spiele konzipiert (siehe: Bad News, GoViral!, Harmony Square).

Nachsorge – Wie kann ich Falschmeldungen entkräften?

Zwei psychologische Mechanismen erschweren das Entkräften von Falschmeldungen: 1) „Motiviertes Denken“, also die Tendenz, Informationen, die sich mit der eigenen Meinung decken, zu bevorzugen (wie oben beschrieben).[24],[2]) Der „Effekt des anhaltenden Einflusses“, also der Effekt, dass falsche Informationen im Gedächtnis bleiben, obwohl sie bereits glaubhaft korrigiert wurden.[25] Da Falschmeldungen leicht hängen bleiben, sollten sie nicht unwidersprochen bleiben. Allerdings ist es ungleich aufwändiger eine Falschmeldung zu entkräften als sie in die Welt zu setzen.

Eine mögliche Strategie hierfür, die von verschiedenen Psycholog*innen[26] empfohlen wird, folgt einem vierstufigen Schema:

1) Fakt: Beginnen Sie mit einem einfachen, plausiblen Fakt, der inhaltlich zu der Falschmeldung passt. Widersprechen Sie nicht einfach der Falschmeldung („Aussage XY stimmt nicht“), sondern nutzen Sie die Gelegenheit, um eine inhaltlich richtige Botschaft zu senden.

Bsp.: Geflüchtete, die sich noch im Asylverfahren befinden, erhalten Leistungen, die weit unter dem ALG II Satz liegen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht diese niedrigen Leistungen sogar als verfassungswidrig und menschenunwürdig eingestuft.[27]

2) Irrglauben: Erwähnen Sie die falsche Information nur einmal und benennen Sie sie also solche.

Bsp.: Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass Geflüchtete Leistungen erhalten, die deutsche Staatsbürger*innen nicht erhalten, wie bspw. die Finanzierung des Führerscheins.

3) Trugschluss: Erklären Sie wieso der Irrglauben falsch ist und seien Sie detailliert. Wieso wurde die Falschmeldung für richtig gehalten? Wieso ist sie nach Ihrer Erklärung entkräftet? Wieso ist Ihre Alternativerklärung richtig?

Bsp.: Die Behauptung begründet sich in einem Missverständnis. Tatsächlich bietet die Agentur für Arbeit an, die Kosten für den Erwerb des Führscheins zu übernehmen, falls dieser eine notwendige Voraussetzung für eine Arbeitsstelle ist. Dieses Vermittlungsbudget steht aber allen Menschen zur Verfügung, egal ob geflüchtet oder nicht. [28],[29]

4) Fakt: Wiederholen Sie den Fakt, um ihn im Gedächtnis zu verankern.

Bsp.: Geflüchtete erhalten also keinesfalls mehr Leistungen als Nicht-Geflüchtete. Frühestens nach 18 Monaten erreichen die Leistungen das Niveau von ALG II.[30]

Diese Strategie garantiert natürlich nicht, dass Sie Ihr Gegenüber überzeugen. Hinzu kommt, dass Falschmeldungen bspw. über Geflüchtete häufig in Echokammern verbreitet werden, wie z.B. in geschlossenen digitalen Räumen, in denen sich ausschließlich Gleichgesinnte aufhalten. Entsprechend werden Sie eher selten überhaupt die Gelegenheit erhalten auf diese Falschinformationen zu reagieren.[31] Sie erreichen aber durchaus diejenigen, die sich noch nicht in einer abgekapselten Echokammer bewegen und überlassen so die Deutungshoheit nicht einer falsch informierten Minderheit.

Auf einen Blick
 
• Personen halten Falschmeldungen vor allem dann für wahr, wenn sie ihrer eigenen Meinung entsprechen.
• Unter Gleichgesinnten verbreiten sich Falschmeldungen schneller als andere Informationen.
• Je häufiger falsche Informationen gehört werden, desto eher bleiben sie im Gedächtnis – selbst, wenn sie bereits korrigiert wurden.
• Trainingsprogramme können die Anfälligkeit für Falschmeldungen reduzieren.
• Fakten und Erklärungen können Falschmeldungen systematisch entkräften.

Literatur

[1] Humprecht, E. (2018): Where ‘fake news’ flourishes: a comparison across four Western democracies. Information, Communication & Society, 22(13), 1973-1988. https://doi.org/10.1080/1369118X.2018.1474241

[2] Torres, C. (2018, November 20). Nein, es gibt keine 700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge. Spiegel Online. https://www.spiegel.de/panorama/fake-news-erkennen-am-beispiel-weihnachtsgeld-fuer-fluechtlinge-a-a9c7f92e-11c1-4e58-89fe-e4a078895034

[3] Esses, M. (2021). Prejudice and Discrimination Toward Immigrants. Annual Review of Psychology, 72, 503-531. https://doi.org/10.1146/annurev-psych-080520-102803

[4] Schmitt, M. T., Branscombe, N. R., Postmes, T., & Garcia, A. (2014). The Consequences of Perceived Discrimination for Psychological Well-Being: A Meta-Analytic Review. Psychological Bulletin, 140(4), 1-28, https://doi.org/10.1037/a0035754

[5] Dieckmann, J., Geschke, D., & Braune, I. (2017). Diskriminierung und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft. Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. https://doi.org/10.19222/201702/4

[6] Uslucan, H. H., & Yalcin, C. S. (2012). Wechselwirkung zwischen Diskriminierung und Integration – Analyse bestehender Forschungsstände. Expertise des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. https://www.ams-forschungsnetzwerk.at/downloadpub/expertise_ZfTI_wechselwirkung_zw_diskr_u_integration.pdf

[7] Barrera, O., Guriev, S., Henry, E., & Zhuravskaya, E. (2018). Facts, alternative facts, and fact checking in times of post-truth politics. Retrieved from https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3004631

[8] Igartua, J. J., & Cheng, L. (2009). Moderating effect of group cue while processing news on immigration: Is the framing effect a heuristic process? Journal of Communication, 59, 726–749. https://doi.org/10.1111/j.1460-2466.2009.01454.x

[9] Gentzkow, M., & Shapiro, J. M. (2006). Media bias and reputation. Journal of Political Economy, 114(2), 280-316. https://doi.org/10.1086/499414

[10] Knobloch-Westerwick, S., Johnson, B. K., & Westerwick, A. (2015). Confirmation bias in online searches: Impacts of selective exposure before an election on political attitude strength and shifts. Journal of Computer-Mediated Communication, 20(2), 171-187. https://doi.org/10.1111/jcc4.12105

[11] Knobloch-Westerwick, S., Mothes, C., & Polavin, N. (2020). Confirmation bias, ingroup bias, and negativity bias in selective exposure to political information. Communication Research, 47(1), 104-124. https://doi.org/10.1177/0093650217719596

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[13] Sängerlaub, A. (2017, Oktober 23). Verzerrte Realitäten: „Fake News“ im Schatten der USA und der Bundestagswahl. Stiftung Neue Verantwortung. https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/fake_news_im_schatten_der_usa_und_der_bundestagswahl_0.pdf

[14] Del Vicario, M., Bessi, A., Zollo, F., Petroni, F., Scala, A., Caldarelli, G., Stanley, H. E., & Quattrociocchi, W. (2016). The spreading of misinformation online. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113(3), 554-559. https://doi.org/10.1073/pnas.1517441113

[15] Baldauf, J., Dittrich, M., Hermann, M., Kollberg, B., Lüdecke, R., & Rathje, J. (2017). Toxische Narrative – Monitoring Rechts-Alternativer Akteure. Amadeu Antonio Stiftung. https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/publikationen/monitoring-2017.pdf

[16] Hechler, S. & Jäger, F. (2020). Vorurteile erkennen und reduzieren. https://www.fachnetzflucht.de/wp-content/uploads/2020/11/Hechler_Vorurteilen-begegnen.pdf

[17] Vosoughi, S., Roy, D., & Aral, S. (2018). The spread of true and false news online. Science, 359(6380), 1146-1151. https://doi.org/science.aap9559

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[21] Sagarin, B. J., Cialdini, R. B., Rice, W. E.,&Serna, S. B. (2002). Dispelling the illusion of invulnerability: The motivations and mechanisms of resistance to persuasion. Journal of Personality and Social Psychology, 83(3), 526–541. https://doi.org/10.1037//0022-3514.83.3.526

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[23] Cook, J., Lewandowsky, S., & Ecker, U. K. H. (2017). Neutralizing misinformation through inoculation: Exposing misleading argumentation techniques reduces their influence. PLoS one, 12(5): e0175799. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0175799

[24] Flynn, D. J., Nyhan, B., & Reifler, J. (2017). The nature and origins of misperceptions: Understanding false and unsupported beliefs about politics. Political Psychology, 38(S1), 127-150. https://doi.org/10.1111/pops.12394

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[26] Lewandowsky, S., Cook, J., Ecker, U. K. H., Albarracín, D., Amazeen, M. A., Kendeou, P., Lombardi, D., Newman, E. J., Pennycook, G., Porter, E. Rand, D. G., Rapp, D. N., Reifler, J., Roozenbeek, J., Schmid, P.,  Seifert, C. M., Sinatra, G. M., Swire-Thompson, B., van der Linden, S., … Zaragoza, M. S. (2020). The Debunking Handbook 2020. Verfügbar unter https://sks.to/db2020. doi: 10.17910/b7.1182

[27] Bundesverfassungsgericht (2012). ECLI:DE:BVerfG:2012:ls20120718.1bvl001010. http://www.bverfg.de/e/ls20120718_1bvl001010.html

[28] §44 SGB III

[29] Helberg, C. (2019, 28. Oktober). Nein, Asylbewerber bekommen den Führerschein nicht generell „zum Nulltarif“. Correctiv. https://correctiv.org/faktencheck/migration/2019/10/28/nein-asylbewerber-bekommen-den-fuehrerschein-nicht-generell-zum-nulltarif/https://correctiv.org/faktencheck/migration/2019/10/28/nein-asylbewerber-bekommen-den-fuehrerschein-nicht-generell-zum-nulltarif/

[30] Flüchtlingsrat Thüringen e.V. (2021, August). Welche sozialen Leistungen erhalten Flüchtlinge? https://www.fluechtlingsrat-thr.de/themen/basiswissen/welche-sozialen-leistungen-erhalten-fluechtlinge

[31] Lewandowsky, S., Ecker, U. K., & Cook, J. (2017). Beyond misinformation: Understanding and coping with the “post-truth” era. Journal of Applied Research in Memory and Cognition, 6(4), 353-369. https://doi.org/10.1016/j.jarmac.2017.07.008

 

Bitte zitieren als: Bolesta, D. S. (2022). Wie kann man mit Falschmeldungen über Geflüchtete umgehen? Online abrufbar unter https://www.fachnetzflucht.de/wie-kann-man-mit-falschmeldungen-ueber-gefluechtete-umgehen/