Wenn Arbeitsmigrant*innen in ein neues Unternehmen kommen, stehen sie vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen sich in einem neuen Land und in einem neuen Unternehmen einleben. Arbeitgeber*innen, Kolleg*innen und Vorgesetzte können Arbeitsmigrant*innen bei diesem Integrationsprozess unterstützen: Personalabteilungen sollten kulturell faire Einstellungsverfahren und Einstiegsprogramme anwenden, und sattelfest sein, was rechtliche Fragen der Beschäftigung von Arbeitsmigrant*innen anbelangt. Kolleg*innen und Vorgesetzte sollten durch Schulungen auf ein nachhaltiges kulturelles Miteinander in der Arbeit vorbereitet werden und Arbeitsmigrant*innen beim Erlernen der neuen Sprache unterstützen. Unternehmen sollten kulturelle Unterschiede berücksichtigen und nutzen, so dass Offenheit und Vielfalt langfristig die Regel werden können.
Arbeitsmigrant*innen verlassen ihr Herkunftsland, um in einem anderen Land eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen1. Eine erfolgreiche Integration von Arbeitsmigrant*innen am Arbeitsplatz bedeutet, dass sie neue Fähigkeiten lernen, Arbeitsaufgaben meistern und sozial integriert sind1. Für das Unternehmen bedeutet eine erfolgreiche Integration Arbeitszufriedenheit, Arbeitsleistung, Verbundenheit mit dem Unternehmen und Motivation2,3. Arbeitsmigrant*innen müssen sich aber nicht nur im neuen Unternehmen, sondern auch im neuen Land einleben.
Einleben im neuen Land
Wenn Arbeitsmigrant*innen in ein neues Land kommen, treffen die Kulturen der Einheimischen und der Migrant*innen aufeinander: es gibt z. B. Sprachunterschiede, Unterschiede im Kommunikationsverhalten und Umgang miteinander, im Kleidungsstil, in Essgewohnheiten4, in den allgemeinen Lebensverhältnissen (Hygiene, Sicherheit, Verkehrsmittel), in Werten und Glaubensfragen5.
An folgendem Beispiel wollen wir die Auswirkungen unterschiedlicher Kommunikationsstile in einer Arbeitssituation veranschaulichen: Frau Jones fragt Herrn Ng, ob er morgen etwas länger bei der Arbeit bleiben kann, um eine wichtige Präsentation fertig zu stellen. Herr Ng: „Ja, ich denke schon“. Frau Jones daraufhin: „Das wäre eine große Hilfe!“ Herr Ng: „Ja, wissen Sie, morgen ist ein besonderer Tag, mein Sohn hat Geburtstag“. Frau Jones: „Oh wie schön, ich hoffe, Sie können schön feiern!“ Herr Ng: „Danke, ich weiß Ihr Verständnis zu schätzen!“ Herr Ng, der eine eher indirekte Ausdrucksweise hat, wie sie in östlichen Kulturen verbreitet ist, geht davon aus, dass sich damit der morgige Extra-Einsatz erledigt hat. Frau Jones mit ihrer in westlichen Kulturen verbreiteten direkten Ausdrucksweise wird Herrn Ng morgen zur Extraschicht erwarten6.
Mit diesem Aufeinandertreffen kultureller Unterschiede, etwa im Kommunikationsverhalten wie hier im Beispiel, müssen Arbeitsmigrant*innen und Einheimische zurechtkommen2. Nicht selten kommt es dabei zu Diskriminierung, Vorurteilen, dem Gefühl nicht dazu zu gehören, Unsicherheit, oder Angst7.
Einleben im neuen Unternehmen
Beim Einleben in ein neues Unternehmen erleben alle Arbeitnehmer*innen, egal ob Einheimische oder Migrant*innen, eine neue Unternehmenskultur. Das folgende Beispiel soll das veranschaulichen: Als eine neu in ein Unternehmen eintretende Ingenieurin ein Team-Treffen am Freitagvormittag um halb zehn Uhr einberufen will, stößt sie auf Unverständnis und Unwillen, was sie irritiert und sie nicht nachvollziehen kann. Später erfährt sie, dass sich das Team immer freitagvormittags zum gemeinsamen Weißwurstfrühstück trifft. Diese Tradition war ihr nicht geläufig gewesen.
Jedes Unternehmen (sogar jede Abteilung und jedes Team) „tickt“ auf eine eigene Art und Weise. Beim Eintritt in ein Unternehmen treffen neue Mitarbeiter*innen und die bestehende Mitarbeiterschaft aufeinander. Die neuen Mitarbeiter*innen bringen eigene Werte, Einstellungen, Verhaltensweisen und Kompetenzen mit. Sie sind möglicherweise unsicher, wissen nicht, was, wann, wie, wieso zu tun ist, und bekommen zu viele oder widersprüchliche Anweisungen, z. B. das Einhalten hoher Qualitätsansprüche bei gleichzeitig niedriger Bearbeitungszeit3. Auch Kolleg*innen und Vorgesetzte müssen Zeit und Geduld darauf verwenden, dem Neuling Arbeitsschritte zu erklären und den Umgang unter den Mitarbeiter*innen nahe zu bringen.
Integration am Arbeitsplatz
Wie kann also die Integration am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung dieser doppelten Herausforderung für Arbeitsmigrant*innen und Unternehmen gefördert werden? Integration wird durch zwischenmenschliche, kulturelle, und ausbildungsbezogene Faktoren beeinflusst. Daher beschreiben wir kein Patentrezept sondern Handlungshinweise, deren Auswahl und Umsetzung mit Kreativität, Geduld und Gespür für die Arbeitsmigrant*innen, sowie die jeweilige Unternehmenssituation erfolgen sollte.
Im Folgenden umreißen wir zunächst, worauf allgemein bei der Integration neuer Mitarbeiter*innen zu achten ist und zeigen anschließend konkrete Handlungshinweise zur Integration von Arbeitsmigrant*innen am Arbeitsplatz auf. Diese basieren auf wissenschaftlichen Überblicksarbeiten8, Studien9,10, Empfehlungen von behördlichen Einrichtungen11 und Ergebnissen von Expertenrunden12.
Allgemein kommt es bei der Integration neuer Mitarbeiter*innen darauf an, Informationen zu vermitteln, z. B. zum Unternehmen, zu seinen kulturellen Traditionen, zu verwendeten Abkürzungen und spezifischem Vokabular, zu Produkten und Dienstleistungen, zu zentralen Abläufen, Kooperationspartner*innen und Schnittstellen, zu technischen Systemen (Telefon, PC, Intranet), zu internen Angeboten und Aktivtäten (z.B. Sport, Fitness), und zum Unternehmensgebäude und Betriebsgelände.
Des Weiteren sollte die Bildung sozialer Kontakte gefördert werden. Dazu gehören die Vorstellung der neuen Mitarbeiter*innen im Team und bei Kooperationspartner*innen, die Organisation von Austauschgruppen für neue Mitarbeiter*innen, die Vermittlung von Mentoring-Beziehungen zwischen neuen Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen oder das Einladen der Mitarbeiter*innen zu gemeinsamen Mittagessen, Kaffeepausen, sozialen Veranstaltungen und anderen Unternehmensaktionen.
Neben diesen allgemeinen Maßnahmen der Informationsvermittlung und der Förderung sozialer Kontakte kommt es bei der Integration von Arbeitsmigrant*innen insbesondere darauf an, die Personalabteilung zu befähigen, kulturell sensibel und rechtlich korrekt bei der Einstellung von Arbeitsmigrant*innen vorzugehen, sprachlichen und kulturellen Kompetenzerwerb zu ermöglichen, sowie die Unternehmenskultur langfristig weiterzuentwickeln. Diese Punkte werden im Folgenden anhand konkreter Maßnahmen erläutert.
Personalabteilung befähigen
- Fortbildung der Personalabteilung hinsichtlich rechtlicher Aspekte der Beschäftigung von Arbeitsmigrant*innen
- Schulung bzgl. der Begutachtung und Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen und informell erworbenen Kompetenzen von Arbeitsmigrant*innen
- Training bzgl. kulturell gleichstellender Einstellungsverfahren
- Unterstützung der Arbeitsmigrant*innen und ihrer Familienmitglieder beim Ausfüllen offizieller Formulare
- Unterstützung der Arbeitsmigrant*innen bei Wohnungssuche, Autokauf, Zurechtfinden im Gesundheitssystem etc.
- Vernetzung der Personalabteilung mit Einwanderungsbehörden, Hilfswerken etc., um Informationsaustausch zu fördern
Kompetenzerwerb ermöglichen
- Anbieten von Trainings zum Erwerb kultureller Kompetenz für Arbeitsmigrant*innen, Belegschaft (auch Personalabteilung) und Vorgesetzte
- Anbieten von zweisprachigen Trainings oder Trainingsunterlagen, um sicherzustellen, dass Arbeitsmigrant*innen arbeitsbezogene Inhalte verstehen können
- Ermöglichung von „Lernen im Kontext“, um beispielsweise gleichzeitig Sprachkompetenzen und arbeitsbezogene Kompetenzen zu erwerben
- Einführung von „Sprachtandems“ durch die Zusammenführung von Arbeitsmigrant*innen und Belegschaftsmitarbeiter*innen, um Sprache auf Konversationsniveau zu üben, angeregt durch die Personalabteilung oder Vorgesetzte und unterstützt durch Betriebsräte
Unternehmenskultur weiterentwickeln
Der wertschätzende Umgang mit anderen Kulturen und Traditionen sollte in die Unternehmensleitlinien aufgenommen werden, z. B.
- Berücksichtigung kulturspezifischer Feiertage (z. B. haben Muslime strikte Vorschriften beim Ramadan, die bei der Schichtplanung berücksichtigt werden müssen), Informationsstände zu kulturspezifischen Traditionen; Einholen von Vorschlägen dazu von Mitarbeiter*innen anderer Kulturen im Unternehmen im Sinne eines „Initiativrechts“
- Verwendung von leicht verständlicher Sprache in Formularen, Vorlagen und Schriftstücken, Bereitstellung von wichtigen Unterlagen, z. B. Verträgen, in der Muttersprache der Arbeitsmigrant*innen
- Ausbildung mehrsprachiger Führungskräfte, Einsatz von Führungskräften mit interkultureller Erfahrung zur Leitung interkultureller Teams bzw. zum Einarbeiten von Arbeitsmigrant*innen
- Aufnahme von Fremdsprache-Fortschritten in die Leistungsbeurteilung
- Nutzung kulturspezifischer Erfahrungen und Fähigkeiten der Arbeitsmigrant*innen (z. B. Einsatz von Arbeitsmigrant*innen aufgrund ihrer Sprachkenntnisse für internationale Verhandlungen oder die Betreuung internationaler Kunden)
Diese Handlungshinweise wirken insbesondere dann, wenn alle Beteiligten bereit sind, neue Fähigkeiten zu erwerben, soziale Kontakte zu knüpfen, sich gegenseitig zu unterstützen und kulturelle Vielfalt zu leben. Leben Vorgesetzte und Unternehmensführung diese Verhaltensweisen und Einstellungen vor, dann können sie sich auch langfristig im Unternehmen und der Mitarbeiterschaft etablieren.
1Bundeszentrale für politische Bildung. Abgerufen von: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration-ALT/56542/arbeitsmigration?p=all
2Reif, J. A. M., Spieß, E. & Berger, R. (2017). Ein theoretisches Modell zur Integration von Arbeitsmigranten in Organisationen. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie (GIO), 48, 61–68. doi:10.1007/s11612-017-0355-9
3Saks, A.M., & Ashforth, B. E. (2000). The role of dispositions, entry stressors, and behavioral plasticity theory in predicting newcomers’ adjustment to work. Journal of Organizational Behavior, 21, 43–62. doi: 10.1002/(SICI)1099-1379(200002)21:1%3C43::AID-JOB985%3E3.0.CO;2-W
4Berry, J. W. (2005). Acculturation: Living successfully in two cultures. International Journal of Intercultural Relations, 29, 697-712. doi:10.1016/j.ijintrel.2005.07.013
5Podsiadlowski, A. (2004). Interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit. München: Vahlen.
6Angelehnt an Ottawa Chamber of Commerce. Employer’s Guide to Integrating Immigrants into the Workplace. Abgerufen von: http://www.hrcouncil.ca/hr-toolkit/documents/HIO-Employer-Guide-EN.pdf am 15.10.2019
7Lay, C., & Nguyen, T. (1998). The role of acculturation-related and acculturation non-specific daily hassles: Vietnamese-Canadian students and psychological distress. Canadian Journal of Behavioural Science, 30(3), 172-181.
8Döring, O., Müller, B., & Neumann, F. (2015). Potenziale erkennen – Kompetenzen sichtbar machen. Chancen für Menschen mit Migrationshintergrund. Bertelsmann Stiftung.
9Friesen, M. R. (2011). Immigrants’ integration and career development in the professional engineering workplace in the context of social and cultural capital. Engineering Studies, 3, 70–100. doi:10.1080/19378629.2011.571260
10Enchautegui, M. E. (2015). Engaging Employers in Immigrant Integration. Abgerufen von: https://www.urban.org/sites/default/files/publication/65346/2000330-Engaging-Employers-in-Immigrant-Integration.pdf am 15.10.2019
11Centre for Canadian Language Benchmarks. 10 ways to attract, hire and retain internationally-educated and trained immigrants. Abgerufen von: http://www.hireimmigrantsottawa.ca/downloads/TenWays_BrochureWEB.pdf am 15.10.2019
12Institute for Work and the Economy (2006). The Integration of Immigrants in the Workplace. Abgerufen von: https://www.immigrationresearch.org/system/files/The_Integration_of_Immigrants_in_the_Workplace.pdf am 15.10.2019
Bitte zitieren als: Reif, J., Spieß, E., & Berger, R. (2019). Wie kann die Integration von Arbeitsmigrant*innen am Arbeitsplatz gefördert werden? Online abrufbar unter https://www.fachnetzflucht.de/wie-kann-die-integration-von-arbeitsmigrantinnen-am-arbeitsplatz-gefordert-werden