Trauma und seine Folgen

Für Unterstützer*innen im Umgang mit geflüchteten Menschen ist die Frage bedeutend, inwiefern die Geflüchteten traumatisierende Ereignisse erlebt haben. Die Frage nach Traumatisierung durch Konflikt, Krieg und Flucht wird meist vor dem Hintergrund gestellt, wie Traumata erkannt werden können, ob Traumatisierte andere Zuwendungen brauchen als Nicht-Traumatisierte, ob sie besonders zu schonen sind oder unberechenbare Verhaltensweisen zeigen. Ziel dieses Beitrages ist es, wesentliche Aspekte von Trauma für alle Helfer*innen und Unterstützer*innen, die mit Geflüchteten konfrontiert sind, zu erläutern. Im Folgenden wird ein psychologisches und damit klinisches Verständnis von Trauma vorgestellt.

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Was bedeutet Trauma?

Vorweg, in der Fachwelt herrscht keine Einigkeit darüber, was Trauma genau meint und wie die Folgen einer Traumatisierung am besten behandelt werden sollen[1]. Einigkeit besteht hingegen darin, dass es sich bei einem Trauma (1) um eine bedrohliche Situation handelt, in der kein angemessenes Handeln, kein Entkommen (mehr) möglich ist. Für die betroffene Person bedeutet dies (2) die schutzlose Preisgabe, das Erleben von Ohnmacht und Hilflosigkeit, einhergehend mit einem massiven Kontrollverlust. Dies traumatische Erfahrung setzt sich (3) als Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis fort[2]. Wir möchten diese drei Aspekte nun etwas ausführen.

Grundsätzlich verschränkt sich bei einem Trauma die äußere Situation (objektive Gegebenheit) mit dem persönlichen Erleben, also mit der Innenperspektive der Person. Trauma bedeutet, dass Individuen durch grundlegende Bedrohungen in Situationen geraten, denen sie normalerweise durch Flucht, Erstarren oder Kampf zu entkommen versuchen würden, um sich wieder in Sicherheit zu bringen. Die traumatisierende Situation birgt jedoch einen „Widerspruch“, denn in dieser Situation ist kein angemessenes Handeln (z.B. Flucht) mehr möglich, weil die Situation die Möglichkeit der „Handelbarkeit“ überschreitet. Dies führt zu der für das Trauma charakteristischen Erfahrung: die eigene Unfähigkeit, die bereits erwähnte schutzlose Preisgabe, ein massiver Kontrollverlust und große Angst. Der als (3) genannte Aspekt, der erlebte Zusammenbruch, wirkt nachhaltig.

Dieser Zusammenbruch setzt sich innerpsychisch fort: das Vertrauen in sich selbst und damit die Zuversicht, je wieder in der Welt auf die „Fuß zu kommen“, ist beeinträchtigt. Doch trifft dieser Verlust auch das Vertrauen in die Welt insgesamt als einen Ort gegenseitiger Verständigung und grundlegender, menschlicher Beziehungen. Diese erfahrene, völlige Enttäuschung wirkt nachhaltig und führt zu einem Über- und Weiterleben mit (psychisch) völlig veränderten Grundvoraussetzungen. All dies trifft für ausgesprochen viele Geflüchtete bereits für die Zeit vor der Flucht zu, in der bereits erste traumatische Vorbedingungen, wie die Entwicklung von Spannung und Armut abzeichnen. Dies bedeutet psychisch betrachtet das Erleben von Beklemmung, Bedrückung und Angst, lange bevor existenziell traumatische Erfahrung(en) infolge des Erlebens oder Bezeugens von Verhaftung, Folter und Mord stattfinden. Die Entscheidung zur Flucht selbst ist zwar der Versuch, wieder ein „handlungsfähiges“ Individuum zu werden, die Prägung durch die traumatisierende Erfahrung bleibt bestehen. Die eigene Erfahrung in Konflikt- und Kriegsgebieten einerseits[3] und die zahlreichen Fluchtgeschichten andererseits verdeutlichen, wie sehr Geflüchtete eine Vielzahl an Ereignissen erleben oder beobachten mussten: Schilderungen von selbst erlittener oder beobachteter Gewalt, das Bezeugen von Gräueltaten, das Beobachten des Untergangs der Boote anderer, das Erleben von Armut, Ausweglosigkeit und dem (Mit-)Erleben extremer Gefühlszustände wie Panik, emotionaler Überwältigung oder völliger Gleichgültigkeit. Die Wirkung der Erlebnisse auf die Geflüchteten setzt mit der Ankunft im Aufnahmeland nicht von selbst wieder aus.

(1) Folgen der Traumatisierung

Die Psychotraumatologie wird nicht müde zu betonen, dass Folgen von Trauma normale und nicht pathologische Reaktionen angesichts extremer Situationen sind. Die Folgen von Trauma werden überwiegend – auch wenn dies damit viel zu verkürzt geschieht – als Posttraumatische Belastungsstörung (engl. Post Traumatic Stress Disorder, PTSD) zusammengefasst. Die PTSD umfasst drei Symptomgruppen: Intrusion, Vermeidung und Erregung. Diese drei stellen wir im Folgenden anhand von Beispielen vor.

(1) Intrusionen sind wiederkehrende, eindringliche Erinnerungen, Flash-backs und Träume, mit denen das Gefühl verbunden ist, als würde das Ereignis wiederkehren. Sehr viele Geflüchtete tragen belastende Bilder und Erinnerungen in sich: Ein junger Mann erzählt uns, dass er sich kaum zu beruhigen weiß, weil er wieder und wieder das Bild von der Erschießung seines Vaters vor sich sieht. Ein anderer Jugendlicher berichtet, wie er das „Platzen“ des Bootes sah, auf dem sich seine Großmutter befand, die mit dem Boot unterging. Das ungewollte Wiedererleben wird häufig durch neutrale Situationen oder Sachverhalte ausgelöst. Zu erkennen ist das bspw., wenn Geflüchtete auf sensorische Reize schreckhaft reagieren, Angst vor Helikoptern, Knallkörpern oder größeren Menschenansammlungen zeigen.

(2) Die Gruppe der Vermeidungssymptome umfasst das Vermeiden von Gedanken oder Gefühlen, die mit den Belastungen einhergegangen sind. Das bewirkt leider auch, dass die Geflüchteten Kontakte vermeiden – und damit auch das Erlernen der neuen Sprache(n) und ihrer Möglichkeiten. Dies geht mit der Verminderung von Interessen, eingeschränktem Erleben sowie Entfremdungsgefühlen einher. Hinweise dafür sind, wenn Geflüchtete sich gleichgültig zeigen, sich zurückziehen, nicht über sich oder andere sprechen, den Tag „verschlafen“, da ihnen die Kraft und der Mut fehlt, sich in die neue Situation einzufinden und diese mitzugestalten. Der Appell „nach vorne“ zu blicken und die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ist an dieser Stelle nicht hilfreich.

Zur Symptomgruppe der Übererregung (3) zählen Symptome wie massive Stressreaktionen, körperliche Anspannung, Reizbarkeit, plötzliche Wutausbrüche, Schlafstörungen und daraus resultierende Übermüdung und Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und übertriebene Schreckhaftigkeit. Viele Geflüchtete wirken sehr angespannt oder „unter Strom“ und verbergen damit die darunter sich verbergenden schweren Schicksals-schläge und Erinnerungsbilder, bei gleichzeitiger Per-spektivenlosigkeit. Weniger „ersichtlich“ wie die genannten „Symptome“ bei Traumatisierung sind jene, die in ihren Folgen wesentlich komplexer sind und zahlreiche „Daseinsaspekte“ des Menschen beeinflussen. Zu diesen Anzeichen zählen der Verlust des Vertrauens in sich selbst und in die anderen sowie in die Grund-sicherheit und Orientierung im Leben. Der Schock, alles verloren zu haben, kann zu einer Veränderung im Identitätsempfinden führen – verstärkt durch den im Aufnahmeland geforderten kulturellen Anpassungsprozess. Dem nicht genug, spielen Schuldgefühle eine besondere Rolle, die Tatsache, andere zurückgelassen zu haben, die Sorge um sie und das Wissen, dass Konflikt und Krieg weitere Opfer fordern werden.

(2) Wie kann unterstützt werden?

Zum einen erscheint uns besonders wichtig, dass alle, die mit Geflüchteten auf der Ebene der psychosozialen Versorgung unmittelbar betraut sind, entsprechende Informationen oder Schulungen und Workshops zum Thema Trauma erhalten. Mittels Information und Schulung können die vielfältigen Auswirkungen von Trauma verstanden und erkannt werden – ohne dass eine therapeutische Aufarbeitung zu diesem Zeitpunkt bereits einsetzen muss – und zugleich erweisen sich die Schulungen als Präventionsmaßnahme für die Un-terstützer*innen: Es ist eine Tatsache, dass Menschen, die mit Traumatisierten – ob ehrenamtlich oder bezahlt – arbeiten, selbst traumatisiert werden können (vgl. zur Unterstützung von Ehrenamtlichen auch den Beitrag von Pia Andreatta). Zum anderen können auch „Nicht-Psycholog*innen“ Maßnahmen setzen, die der Dynamik von Trauma entgegenwirken. Dazu seien zwei Themenbereiche vorgestellt: (1) die Förderung der Resilienz der Geflüchteten (vgl. dazu auch den Beitrag von Pia Andreatta) und (2) Maßnahmen auf gesellschaftlicher, somit auch kommunaler Ebene (vgl. dazu auch den Beitrag von Pia Andreatta).

[1] vgl. hierfür: Becker, D. (2009). Die Schwierigkeit, massives Leid angemessen zu beschreiben und zu verstehen. Traumakonzeption, gesellschaftlicher Prozess und die neue Ideologie des Opfertums. In A. Karger, Trauma und Wissenschaft (S. 61-91). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

[2] Fischer, G., & Riedesser, P. (2009). Lehrbuch der Psychotraumatologie (4. Aufl.). München: E. Reinhardt.

[3] Andreatta, P (2012). Körper und Präsenz: Traumaarbeit im komplexen Nachkriegskontext. Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft und Psychologische Medizin, 2, 33–44.

Diesen Artikel bitte zitieren als: Andreatta, P. & Unterluggauer, K. (2019). Trauma und seine Folgen Fachnetz Flucht, 1. Verfügbar unter https://www.fachnetzflucht.de/trauma-und-seine-folgen/