Wie kann Geflüchteten geholfen werden, die von Gewalt und Drohungen betroffen sind?

Geflüchtete sind häufig von negativen Stereotypen, rassistischen Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft betroffen. Dies reicht von Beschimpfungen über Bedrohungen bis zu körperlicher Gewalt und terroristischen Anschlägen. Nach solchen Vorfällen entsteht im Umfeld die Frage: Wie können Betroffene nach gewaltvollen Vorfällen am besten unterstützt werden? Im Folgenden werden konkrete Unterstützungsmöglichkeiten benannt, wobei vor allem auf die Arbeit professioneller Opferberatungsstellen eingegangen wird.

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Hintergrund der Gewalterfahrung und Phasen der Viktimisierung

Viele Geflüchtete sind durch Erlebnisse wie Verfolgung, Krieg bzw. Gewalterfahrungen in ihren Herkunftsländern oder auf der Flucht nach Deutschland bereits traumatisiert. Studien zeigen, dass dies für bis zu drei Viertel der aus Syrien, dem Irak und Afghanistan hierher Geflüchteten gilt (Schröder, Zok & Faulbaum, 2018[1]). Das macht sie zu einer besonders vulnerablen, also verletzlichen Gruppe, die einfühlsamer Unterstützung bedarf. Die Gefahr einer Retraumatisierung ist sehr hoch – nicht nur durch das Erleben von konkreten (strafrechtlich relevanten bzw. gewaltvollen) Angriffen; auch in der darauffolgenden Unterstützung gilt es, für weitere Viktimisierungsprozesse sensibilisiert zu sein.

Vorurteilsgeleitete Straftaten

Gewalt gegen Menschen (ihr Eigentum oder für sie wichtige symbolische Orte oder Gegenstände) aufgrund der Zuschreibung und Kategorisierung zu bestimmten Gruppen – beispielsweise aufgrund ihrer Fluchtbiografie – wird auch Hasskriminalität bzw. vorurteilsgeleitete Kriminalität genannt. Dabei geht es nie nur um die einzelne angegriffene Person; stattdessen haben derlei Taten immer auch einen symbolischen Charakter: Die Botschaft, „Ihr seid hier nicht erwünscht!“, adressiert immer auch eine größere Gruppe bzw. Community, also beispielsweise alle Menschen mit Fluchterfahrung in der Region bzw. in Deutschland. Das heißt, auch andere, nicht direkt angegriffene Menschen, die sich dieser Gruppe zuordnen, „nehmen die Botschaft wahr“, werden verunsichert und verängstigt. Anders gesagt: Hasskriminalität kann neben der primären Viktimisierung durch die konkrete Tat auch kollektive Viktimisierung hervorrufen, weil auch nicht selbst Betroffene trotzdem indirekt betroffen sind.

In den Sozialwissenschaften werden verschiedene Phasen der potenziellen Opferwerdung unterschieden: primäre, sekundäre und tertiäre Viktimisierung (vgl. Kiefl & Lamnek, 1986[2]). Eine Sensibilität für diese Phasen der potenziellen Viktimisierung ist wichtig, um Geflüchtete, die von rassistischen Drohungen oder Gewalt betroffen sind, adäquat und langfristig zu unterstützen.

Primäre Viktimisierung findet in der direkten Tatsituation statt: als körperliche Verletzung der Angegriffenen durch die erfahrene Gewalt oder als psychische Beeinträchtigung in Folge einer Bedrohung (z.B. Angst, soziale Isolation).

Die sekundäre Viktimisierung findet nach der Tat statt und hängt vom Umgang des sozialen Umfeldes mit den Betroffenen und der Tat ab: Wenn beispielsweise durch Freund*innen, Bekannte, durch Behörden (z.B. Polizei, Gerichte) oder lokale Autoritäten (z.B. Politiker*innen) den Betroffenen eine Mitschuld gegeben wird (Täter*in-Opfer-Umkehr, z.B. „Warum musstest Du auch nachts allein durch diese Straße laufen?“) oder der Vorfall gar vertuscht wird, kann dies zu einer erneuten, sekundären Schädigung führen.

Von tertiärer Viktimisierung wird dann gesprochen, wenn längerfristig durch wiederkehrende Angriffe und ausbleibende Unterstützung eine sogenannte „Opfermentalität“ zum Teil der Identität der Betroffenen wird. Wenn sie also das Gefühl haben, dass ihnen solche Gewalttaten jederzeit wieder passieren könnten und sie sich sowieso nicht dagegen schützen können. Wenn durch Maßnahmen wie oben beschrieben sekundäre Viktimisierung verhindert werden kann und keine weiteren Vorfälle von Gewalt oder Bedrohung vorkommen, sinkt die Wahrscheinlichkeit tertiärer Viktimisierung.

Unterstützungsmöglichkeiten entlang der Phasen von Viktimisierung

Entsprechend dieser Phasen sind auch verschiedene Möglichkeiten der Unterstützung für von Drohungen oder Gewalt Betroffene möglich und wichtig.

Unmittelbar nach primärer Viktimisierung ist so schnell wie möglich professionelle Unterstützung durch spezialisierte Ärzt*innen, Psycholog*innen und Jurist*innen nötig, ggf. in Begleitung durch Freund*innen, Unterstützer*innen und Übersetzer*innen. Dafür können sich Betroffene (oder Menschen aus ihrem Umfeld) nach einem Vorfall jederzeit persönliche oder telefonische Unterstützung durch professionelle Opferberatungsstellen holen. Diese gibt es mittlerweile in allen deutschen Bundesländern. Die dort Beschäftigten Jurist*innen, Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen und Ärzt*innen haben täglich mit derartigen Vorfällen zu tun. Sie bieten psychosoziale Beratung an und helfen auf Wunsch bei der Anzeigeerstattung. Sie begleiten zu Polizei und Staatsanwaltschaft und vermitteln zu anderen Spezialist*innen weiter, wie Anwält*innen, Psychotherapeut*innen oder Übersetzter*innen. Sie kennen die Gesetzeslage und die lokale juristische Praxis.

Folgende Prinzipien sind grundlegend für die Arbeit professioneller Beratungsstellen (vgl. Büttner, 2018[3]): Es ist ein niedrigschwelliges Angebot, welches jede*r Betroffene, aber auch Zeug*innen, Unterstützer*innen etc. kostenlos und auf Wunsch auch anonym in Anspruch nehmen können. Die Beratungsstellen arbeiten unabhängig von staatlichen Einrichtungen. Eine Zusammenarbeit mit der Polizei o.ä. und die Erstattung einer Anzeige erfolgt nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen. Die Beratungen sind parteilich zugunsten der Betroffenen, d.h. sie basieren darauf, dass die Erfahrungen, Bedürfnisse und Interessen der Betroffenen akzeptiert werden und im Mittelpunkt stehen. Diesen entsprechend arbeiten sie lösungs-, ressourcen- und auftragsorientiert.

Um sekundäre Viktimisierung zu verhindern, ist es wichtig, dass Menschen im direkten sozialen Umfeld (u.a. Freund*innen; Bekannte; Menschen, die mit betroffenen Geflüchteten leben und arbeiten) den Betroffenen zuhören, ihre Erfahrungen ernst nehmen und ihnen privat und öffentlich solidarisch beistehen. Wichtig ist, dass Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft und besonders Vertreter*innen lokaler Autoritäten den Vorfall thematisieren, sich solidarisch zu den Betroffenen bekennen und öffentlich gegen die Straftat und die Täter*innen Stellung beziehen. Damit zeigen sie: „Rassistische Gewalt wird hier nicht akzeptiert!“, „Wir stehen an der Seite der Angegriffenen!“ und „Die Täter*innen müssen für ihre Tat zur Rechenschaft gezogen werden!“ (Ashour, Geschke & Dieckmann 2022[4]).

Insbesondere Vertreter*innen von Polizei und Behörden sollten sensibel mit den Betroffenen umgehen, um eine sekundäre Viktimisierung zu verhindern. Dazu gehören zunächst das Zuhören und das Ernstnehmen ihrer Perspektive (z.B. im Ermittlungsverfahren). Betroffene brauchen in dieser Situation von behördlicher Seite Informationen über die rechtliche Sachlage in Deutschland und ihre Rechte. Idealerweise finden notwendige behördliche oder ärztliche Treffen in Begleitung von Freund*innen und Unterstützer*innen (ggf. auch Sprach- und Kulturmittler*innen) statt. Das heißt, neben symbolischem Beistand ist für Betroffene auch diese praktische Hilfe von großer Bedeutung: Begleitung bei Terminen, Übersetzung von Gesprächen oder Schriftverkehr. Zur Vermeidung sekundärer Viktimisierung gehört unter Umständen auch eine Reflexion und Sensibilisierung von vorhandenen Vorurteilen gegenüber den Betroffenen und ihrer Gruppe im Umfeld der Helfer*innen. Wenn diese Unterstützung erfolgreich gegeben wird, kann eine tertiäre Viktimisierung, also die langfristige Verfestigung des Gefühls der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins bei Betroffenen, wirkungsvoll verhindert werden.

Weitere Herausforderungen im Kontext Flucht

Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Polizei und Behörden in den Herkunftsländern oder aufgrund ihrer ungeklärten Aufenthaltssituation haben viele Geflüchtete besonders große Angst davor, mit Behörden in Kontakt zu kommen und bspw. Anzeige zu erstatten. Umso wichtiger ist ein sensibilisiertes und solidarisches Unterstützungsnetzwerk, welches die Betroffenen nach dem Vorfall begleitet, berät und unterstützt.

Des Weiteren stellen geflüchtete Frauen eine Gruppe dar, die häufig von sexualisierter Gewalt betroffen ist. Frauenhäuser sind hier ein möglicher zusätzlicher Anlaufpunkt zur Unterstützung von Frauen in Notsituationen. Auch unbegleitete minderjährige Ausländer*innen (UmA) stellen eine hoch vulnerable Gruppe mit besonderen Bedürfnissen und Rechten (z.B. Kinderrechtskonvention der UN) dar.

In der Arbeit mit und bei der Unterstützung von Geflüchteten reicht demnach nicht nur das faktische Wissen, dass Geflüchtete von rassistischer Gewalt betroffen sein können. Zusätzlich ist eine Sensibilisierung für unterschiedliche Vulnerabilitäten und Herausforderungen in Verknüpfung mit den beschriebenen Phasen der Viktimisierung notwendig.

Auf einen Blick
 
• Nach der eigentlichen Tat sind weitere Schädigungen möglich, aber auch vermeidbar.
• Wichtig ist, Betroffenen zuzuhören, ihre Erfahrungen ernst zu nehmen und ihnen privat und öffentlich solidarisch beizustehen.
• Professionelle Opferberatungsstellen bieten Betroffenen je nach individuellen Bedürfnissen kostenlose Unterstützung.

Literatur

[1] Schröder, Helmut; Zok, Klaus & Faulbaum, Frank (2018). Gesundheit von Geflüchteten in Deutschland – Ergebnisse einer Befragung von Schutzsuchenden aus Syrien, Irak und Afghanistan. WIdOmonitor, Ausgabe 1/2018.

[2] Kiefl, Walter & Lamnek, Siegfried (1986). Soziologie des Opfers. Theorie, Methoden und Empirie der Viktimologie. München: Fink.

[3] Büttner, Christina (2018). Folgen rechter Gewalt für Betroffene und Möglichkeiten der Unterstützung durch spezialisierte Opferberatungsstellen. In: Wissen schafft Demokratie, 4, S. 118-129.

[4] Ashour, Amani; Geschke, Daniel & Dieckmann, Janine (2022). Hassgewalt und fehlende Solidarität – zur Kommunikation und Rolle der Mehrheitsgesellschaft. In: Wissen schafft Demokratie, 10, S. 162-175.

Bitte zitieren als: Geschke, D. & Diekmann, J. (2022). Wie kann Geflüchteten geholfen werden, die von Gewalt und Drohungen betroffen sind? Online abrufbar unter https://www.fachnetzflucht.de/wie-kann-gefluechteten-geholfen-werden-die-von-gewalt-und-drohungen-betroffen-sind/